Schreiben als Mensch-Maschine-Kollaboration? Was KI im Schreibprozess verändern kann.
Wie wir schreiben, war schon immer durch die Werkzeuge geprägt, die wir dafür nutzen. Natürlich schreibt es sich anders, wenn man Hieroglyphen mit Meißeln in Stein haut, als wenn wir mit zehn Fingern auf der Laptoptastatur tippen. Generative Text-KI auf Basis großer Sprachmodelle markiert in der Entwicklung der Kulturtechnik Schreiben eine deutliche Zäsur von unklarer Tragweite: Erstmals kann mit einem Medium – auf jeglichem digitalen Endgerät – der Schreibprozess selbst automatisiert werden. All das Grübeln, Formulieren, Feilen am Text wird überflüssig, wenn eine Maschine die Textarbeit übernehmen oder unterstützen kann. KI erstellt mittlerweile so gute Texte, dass sie nicht von menschlich verfassten Texten unterschieden werden können. KI-generierte Argumente können überzeugender sein als die von Menschen (z. B. Huang, Wang 2023) und selbst Empathie und moralische Expertise (z. B. Dillion 2024) kann KI so gut simulieren, dass sie es mit Menschen aufnehmen kann! KI greift damit tief in eine uralte Kulturtechnik ein, die einen hohen Stellenwert als Symbol menschlicher Bildung und Intellektualität hat, Mittel zur Reflexion und Kreativität ist und in Bildung und Forschung eine fundamentale Rolle spielt.
KI im Schreibprozess – ein Kontinuum
Aber was genau leistet KI beim Schreiben, wofür kann sie schon heute konkret verwendet werden – und vor allem wie? Oft wird ihr eine Entlastungsfunktion zugesprochen. Das suggeriert, dass KI die Texterstellung automatisiert und dann Zeit für anderes bleibt. Ganz so ist es meiner Erfahrung nach aber nicht. Gemeinsam mit meiner Ko-Autorin Isabella Buck habe ich das Potenzial, das KI in Schreibprozessen entfalten kann, anhand von vier prototypischen Nutzungsszenarien gegliedert: Ersatz, Entlastung, Unterstützung und Erweiterung menschlicher Denkprozesse (Buck & Limburg 2024). Diese Szenarien beschreiben Möglichkeiten, wie KI in den Schreibprozess eingebunden werden kann – auf einem Spektrum von der reinen Automatisierung bis hin zur Co-Kreation. (s. Abbildung am Ende des Beitrags).
1. KI als Ersatz für das menschliche Denken?
Zwar wird oft suggeriert, dass KI den gesamten Schreibprozess übernehmen könne, doch funktioniert das aus mehreren Gründen noch nicht gut. Ein Hauptproblem ist die mangelnde Zuverlässigkeit KI-generierter Texte. Sprachmodelle wie ChatGPT arbeiten nicht auf der Grundlage von Informationen über die Welt, sondern berechnen die Wahrscheinlichkeit für die Abfolge von Wörtern; sie verfügen also ausschließlich über Sprachwissen. Daraus resultiert, dass sie gelegentlich falsche oder ungenaue Aussagen treffen. Zum jetzigen Zeitpunkt kann KI das menschliche Denken beim Schreiben also nicht vollständig ersetzen. Hinzu kommt, dass KI für ein richtig gutes Ergebnis einen gut formulierten „Prompt“ benötigt, eine Eingabe, die den Schreibkontext präzise beschreibt – von der Textsorte über den Adressaten bis hin zur gewünschten Stilistik. All dies zu spezifizieren erfordert Zeit und Mühe, was den Entlastungseffekt deutlich mindert.
Obwohl KI also meiner Überzeugung nach nur selten Texte generiert, die unverändert übernommen werden können, bedeutet das nicht, dass KI uns in Schreibprozessen nicht anderweitig entlasten könne. Dafür haben Isabella Buck und ich zwei Anwendungsszenarien beschrieben:
2. KI als Entlastung
Schreibende erleben eine Entlastung, wenn sie KI als Werkzeug für die Bearbeitung niedrigschwelliger Aufgaben nutzen, sei es bei der Korrektur von Rechtschreib- oder Grammatikfehlern, bei einer stilistischen Überarbeitung oder der Formatierung. KI hat hier das Potenzial, Schreibende von Routinearbeiten zu befreien – obwohl auch dabei noch ein prüfender Blick erforderlich ist. Aus der Schreibwissenschaft wissen wir, dass eine Entlastung von solchen „lower order tasks“ beim Schreiben im Arbeitsgedächtnis mehr Kapazität für die Bearbeitung der anspruchsvolleren Formulierungs- oder Überarbeitungsaufgaben freisetzt. So verwendet kann KI o durchaus dazu beitragen, dass Schreiben einfacher und lustvoller wird.
3. KI als Unterstützung
Hier dient KI vor allem als emotionale Entlastung im Schreibprozess, etwa in Phasen, in denen menschliche Kreativität und Reflexion gefragt sind. KI kann bei der Ideenfindung unterstützen, Schreibblockaden lösen, schwere Fachtexte verstehen helfen oder alternative Formulierungen, Strukturen oder Argumente vorschlagen. Diese Form der Unterstützung hebt KI von einem reinen Hilfsmittel ab und macht sie zu einem Reflexionswerkzeug, weil Schreibende in der Auseinandersetzung mit den generierten Textentwürfen ihre eigenen Lösungen entwickeln können. Der Schreibprozess wird dabei nicht abgekürzt, sondern qualitativ bereichert. Schreibende, die KI auf diese Weise nutzen, sind im Schreibprozess möglicherweise abgesicherter und orientierter, weil sie mehrere Möglichkeiten abwägen können.
Noch wenig diskutiert ist bis dato, wie KI dazu beitragen kann, dass Menschen bessere Texte schreiben. Aus vielen Gesprächen mit KI-affinen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sowie aus meiner eigenen Erfahrung im Schreiben mit KI bin ich überzeugt, dass sich derzeit in der Mensch-Maschine-Kollaboration eine neue wissenschaftliche Praxis bzw. eine neue Form des Schreibens herausbildet.
4. KI als Erweiterung menschlichen Denkens
Mit KI können wir Dinge, die wir ohne sie nicht können. Damit meine ich nicht in erster Linie die Analyse komplexer Daten, sondern das Schärfen von Gedanken durch die Interaktion mit der KI. Durch die Synthese verschiedener Informationen und Perspektiven entstehen neue Ideen und Zusammenhänge. Die KI ist ein immer verfügbarer maschineller „thinking partner“, mit dem Gedanken erprobt, verfeinert, ausgearbeitet oder verworfen werden können. Dabei steht im Vordergrund, was wir in Mensch-zu-Mensch-Kommunikation als aktives Zuhören schätzen: Die KI paraphrasiert Gesagtes, fragt zurück oder stellt anknüpfende Gedanken zur Verfügung, die zu tieferem, kritischen Denken anregen. Die Rückfragen helfen dabei, komplexe Gedanken in Sprache zu überführen und greifbar zu machen.
Ideen, die eine KI einbringt, sind oft nicht unmittelbar verwertbar, bilden aber – im Sinnes eines epistemischen Prozesses – Anlass zum Weiter- und Neudenken. Die KI hilft hier nicht nur, das Schreiben zu erleichtern, sondern das Denken selbst zu erweitern. Im Sinne dieses Szenarios zu schreiben geht nicht schneller, aber KI hilft dabei oberflächliches Denken zu vermeiden und fördert die tiefe Auseinandersetzung mit den eigenen Gedanken.
Für Autor:innen verändert KI das Schreiben in einem weiteren ganz wesentlichen Punkt: Es geht nicht mehr darum, Buchstaben zu produzieren, aus denen sich ein Text formt. Als Autorin kann ich mit der KI in einen Dialog treten, Ergebnisse weiterverarbeiten und Gedanken diktieren (und sie werden nicht nur transkribiert, sondern gleichzeitig elaboriert). Weil generative KI Texte nicht reproduziert, sondern auf jede Anfrage hin ad hoc als Unikat generiert, gewinnen Texte eine völlig veränderte Stofflichkeit: Sie werden fluide und personalisiert.
Zur Zukunft des Schreibens mit KI
Schon heute verändert KI, wie wir schreiben. Dazu habe ich an anderer Stelle gemeinsam mit acht Kolleg:innen Thesen ausgearbeitet (Limburg et al. 2023). In welche Richtung sich das Schreiben angesichts generativer KI entwickeln wird, ist unvorhersehbar, weil es von der Nutzung jedes Einzelnen abhängt – und genau deshalb ist die Technologie disruptiv. Trotzdem zeichnen sich mögliche Entwicklungsrichtungen ab, etwa die oben angesprochene zunehmende Fluidität von Texten und die Verschmelzung von Schriftlichkeit und Mündlichkeit.
Ein anderer wichtiger Aspekt, der vor allem in Szenario 4 bereits anklingt, ist die geteilte Verantwortung zwischen Mensch und Maschine. Je weiter KI auf Schreibprozesse einwirkt, desto mehr stellt sich die Frage nach der Autorschaft. Wer ist für den finalen Text verantwortlich? In der wissenschaftlichen Community, wo Präzision und Originalität entscheidend sind, ist diese Frage besonders brisant. Wer trägt die Verantwortung, wenn die KI falsche Informationen generiert oder Vorurteile reproduziert, die in Trainingsdaten enthalten waren? Das ist so lange trivial, wie Menschen genauso gut mit wie ohne KI arbeiten. Die Verantwortung für einen Text verbleibt dann beim Autor oder bei der Autorin. Sobald jedoch KI bessere Ergebnisse erzielt als der Mensch, kann dieser die Verantwortung für das Produkt nicht mehr übernehmen, weil dann seine Fähigkeit zur Beurteilung nicht ausreicht. Darf KI in dem Fall nicht mehr genutzt werden, obwohl mit ihr eventuell schwerwiegende Probleme wie der Klimawandel bewältigt werden können?
Die Zukunft des Schreibens mit KI ist nicht nur eine Frage der technologischen Möglichkeiten, sondern auch eine Frage der Verantwortung und Reflexion. Wie sehr wir die Kontrolle über unsere Texte behalten – falls wir in Zukunft noch statische Texte verfassen – und welche Rolle wir der KI als Partnerin im Schreibprozess zugestehen, wird maßgeblich bestimmen, wie sich das Schreiben – insbesondere in journalistischen, wissenschaftlichen und kreativen Kontexten – in den kommenden Jahren entwickelt.
Quellen
Buck, I. & Limburg, A. (2024): KI und Kognition im Schreibprozess: Prototypen und Implikationen. In: Journal für Schreibwissenschaft 26. Artificial Intelligence in the Writing Centre. wbv.
Dillion, D., Mondal, D., Tandon, N., & Gray, K. (2024, May 29). Large Language Models as Moral Experts? GPT-4o Outperforms Expert Ethicist in Providing Moral Guidance. https://doi.org/10.31234/osf.io/w7236
Huang, G. & Wang, S. Is artificial intelligence more persuasive than humans? A meta-analysis, Journal of Communication, Volume 73, Issue 6, December 2023, Pages 552–562, https://doi.org/10.1093/joc/jqad024
Limburg, A. / Grieshammer, E. / Buck, I. / Wilder, N. / Mundorf, M. / Bohle-Jurok, U. / Schindler, K. / Knorr, D. / Gröpler, J. (2023): Zehn Thesen zur Zukunft des Schreibens. Positionspapier von gefsus und VK:KIWA beim Hochschulforum Digitalisierung.
Zur Person
Dr.in Anika Limburg ist Germanistin, Schreib- und Bildungswissenschaftlerin. Sie leitet den Bildungscampus Saarland in Saarbrücken und ist Gründungsmitglied des VK:KIWA (virtuelles Kompetenzzentrum ‚Schreiben lehren und lernen mit KI‘). Gemeinsam mit Dr.in Isabella Buck (Hochschule RheinMain) hat sie einen Beitrag zu KI und Kognition im Schreibprozess: Prototypen und Implikationen im Journal für Schreibwissenschaft (JoSch) publiziert.